Vielfältige Perspektiven junger Menschen in den Koalitionsverhandlungen stärker berücksichtigen

Die Brandenburgische Landtagswahl wirft – wie in den vergangenen Wahlen auch – erneut die Frage auf, inwieweit junge Menschen in unserem Bundesland nach rechts gerückt sind, wie viele von ihnen extreme Positionen beziehen und welche Ursachen sich hierfür finden. Der Aufschrei ist erneut groß – die Sorge um unsere Demokratie ebenfalls. 31% der 16-24-Jährigen wählten die als rechtsextremen Verdachtsfall eingestufte Brandenburgische AfD. Diese Entwicklung muss kritisch analysiert werden. Umso wichtiger ist es, nicht nur eine einzige Ursache zu suchen und zu verbreiten, sondern sich kritisch mit den vielfältigen Lebensbedingungen und Einstellungen junger Menschen auseinanderzusetzen.

Für den Landesjugendring zeigen die Wahlergebnisse deutlich: Zweidrittel der wahlberechtigten jungen Menschen in Brandenburg haben demokratische Parteien gewählt. Dieser Fakt kommt in der aktuellen Debatte zu kurz. Der Fokus auf 31% AfD-Wähler*innen verkennt, dass die Mehrheit Jugendlicher und junger Erwachsener hinter der Demokratie steht und diese jeden Tag lebt und mitgestaltet – das herausragende Engagement junger Menschen in unseren Mitgliedsorganisationen zeugt davon. Ob in der Jugendfeuerwehr, in der Brandenburgischen Sportjugend, in kirchlichen und humanistischen Jugendverbänden oder in Naturschutzorganisationen – junge Menschen in Brandenburg tragen aktiv dazu bei, dass unsere Gesellschaft demokratisch und vielfältig bleibt.

Dennoch müssen wir uns – auch in unseren Mitgliedsverbänden – immer wieder kritisch damit auseinandersetzen, dass junge Menschen in unserem Bundesland konservativer geworden sind und eher einen Status Quo erhalten wollen, anstatt Gesellschaft progressiv zu verändern. Dies – wie der Stimmenanteil für eine als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte Partei – hat vielfältige Ursachen, die differenziert betrachtet werden müssen:

  •  Junge Menschen leben noch immer in einer Zeit der multiplen Krisen wie z.B. Klimawandel, Krieg, Inflation, Wohnungsnot oder fehlende Mobilität, die die eigene Lebensgrundlage bedrohen und Unsicherheitsgefühle und Ängste auslösen. Diese Ängste und Unsicherheiten konnten auf politischer Ebene in den letzten Jahren nicht gelöst werden. Insofern sind die Wahlergebnisse auch Ausdruck eines Vertrauensverlustes in große demokratische Parteien und Strukturen. Die Perspektiven junger Menschen werden nicht in dem Maße ernsthaft und konsequent aufgegriffen, wie dies notwendig wäre.
  • Die Erwartungen an junge Menschen sind oftmals zu hoch: Die Ergebnisse der AfD unter den 16–24-Jährigen liegt im Vergleich knapp unter dem Zuspruch der Altersgruppen 25-59 Jahre. Dennoch fokussieren sich die aktuellen Debatten sehr stark am Wahlverhalten junger Menschen. Dies scheint auch daran zu liegen, dass Jugendliche und junge Erwachsene es besser und zukunftsgewandter machen sollen und ihnen die dazu notwendige Kraft zugesprochen wird. Aktuelle Bedingungen des Aufwachsens, wie sie auch der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung beschreibt, fördern dies leider nicht in einem ausreichenden Maße. Massive Verunsicherungen führen zu einem Großteil dazu, dass eine Rückbesinnung auf bekannte und bewährte Sicherheiten stattfindet und dass Ziele, Wünsche und Haltungen des Elternhauses größeren Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse haben.
  • Generationenzuschreibungen verkennen die Vielfalt jugendlicher Positionen, Einstellungen und Lebenslagen: Allzu oft werden die Ziele, Einstellungen und Erwartungen junger Menschen vereinheitlicht. Die immer wiederkehrenden Generationsbezeichnungen zeugen davon. Dennoch: „die eine Jugend“ gibt es nicht. So stimmten 11% der 16-24-Jährigen für Kleinstparteien mit dezidierten Lösungsansätzen und wählten somit vielfältiger als die älteren Gruppen.
    Junge Menschen sind keine homogene Masse und wachsen unter verschiedenen Lebensbedingungen und Voraussetzungen auf. Diese Verschiedenheit wurde bisher in der politischen Debatte und im konkreten politischen Handeln zu wenig berücksichtigt. Beispielsweise stellen sich Fragen der Mobilität und der Erreichbarkeit von Jugendeinrichtungen oder der Wohnungsnot anders in ländlichen Räumen, als dies in urbanen Räumen der Fall ist.
  •  Demokratische Parteien haben junge Menschen in den sozialen Medien allein gelassen: Aktuelle Analysen legen nahe, dass die in Brandenburg als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD eine Dominanz in der Wahrnehmung in sozialen Medien bei jungen Wähler*innen besitzt. Hier haben demokratische Parteien einen großen Aufholbedarf, um populistischen und vereinfachten Inhalten und Positionen etwas entgegenzusetzen. Es scheint ihnen nicht glaubhaft gelungen zu sein, ihre Ziele auf eine einfache und verständliche Art und Weise zu kommunizieren und die Herausforderung, komplexe Sachverhalte und offene Fragen transparent zu machen, in geeigneter Form zu bearbeiten.
  • Junge Menschen sind mit der AfD als Partei in den Parlamenten aufgewachsen: Die AfD ist seit 2014 im Brandenburger Landtag. Erstwählende der vergangenen Landtagswahl haben anders als ältere Menschen somit nicht erlebt, wie eine neue Partei die politische Landschaft verändert, sondern nehmen die AfD – zumindest teilweise – als gewählte demokratische Partei wahr. Eine aktive und jugendaffine Kommunikation sowie eine bewusst gesteuerte mediale Verzerrung, die eigenen rechtspopulistischen oder rechtsextremen Minderheitenmeinungen seien gleichwertig mit einer Haltung der gesellschaftlichen Mehrheit und eine kommunikative Verharmlosung extremer Positionen scheint die Wahrnehmung zusätzlich unterstützt zu haben, es handele sich um eine ganz normale Partei.
  • Rechts-Links-Zuschreibungen verlieren an Bedeutung: Die Zuschreibungen zu einer politischen Verortung verschwimmen nicht nur bei jungen Menschen zusehends. Vielmehr entsteht der generelle Eindruck, dass Positionen aus dem gesamten Parteienspektrum akzeptiert und übernommen werden, auch wenn sie im Zweifel gegeneinanderstehen. Das neuerliche Aufkommen des BSW, das im Parteienspektrum nur schwer zu verorten ist, scheint ein Beispiel für die Fluidität an Haltungen und Positionen zu sein.

Die genannten Ursachen sind dabei nicht neu, sondern durch Studien, Analysen und vergangene Debatten bekannt und belegt. Dennoch scheint die Suche nach Lösungen und Ansätzen zur Bearbeitung rechtsextremer Einstellungen auf einer politischen Ebene noch am Anfang zu stehen oder nicht die nötige Priorität zu genießen. Der Landesjugendring Brandenburg e.V. mahnt daher dringend an, die vielfältigen Perspektiven junger Menschen in den kommenden Koalitionsverhandlungen und den nächsten fünf Regierungsjahren stärker und intensiver zu berücksichtigen:

  • Auch progressive Stimmen junger Menschen müssen im neu gewählten Landtag zu Wort kommen: Die neue Konstellation im Brandenburger Landtag darf nicht dazu führen, dass die Haltungen und Positionen junger Menschen, die zukunftsgewandt und progressiv eingestellt sind, nicht mehr gehört werden. Fragen der Klimakrise, einer jugendgerechten Ausgestaltung unseres Sozialstaats und unserer Gesellschaft müssen auch weiterhin eine Stimme haben und wahrgenommen werden. Wir fordern daher alle demokratischen Parteien im Brandenburger Landtag auf, die Vielfalt der Positionen junger Menschen wahrzunehmen.
  • Die Lebensbedingungen junger Menschen in Brandenburg müssen einen zentralen Stellenwert in der zukünftigen Landesregierung einnehmen: Wir fordern alle demokratischen Parteien auf, sich aktiv und auf Augenhöhe mit der jungen Generation, ihren Bedürfnissen, Vorstellungen und Perspektiven zu befassen und ihre Haltungen im konkreten Regierungshandeln stärker zu berücksichtigen, als dies bisher der Fall war.
Es ist höchste Zeit im Sinne einer jugendgerechten Gesellschaft zu handeln.

Wer eine demokratische, offene und gestaltende Jugend will, der darf die Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen und einer nachhaltigen Bewältigung von Krisen nicht auf die Zukunft verschieben. Dies erfordert eine deutliche Hinwendung zu jungen Menschen sowie einen konsequenten Ausbau ihrer Unterstützungsstrukturen, z.B. durch:

  • Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen
  • Ausbau der finanziellen Ausstattung der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit und der politischen Bildung, z.B. durch einen Ausbau und eine Dynamisierung des Landesjugendplans und die Erhöhung von Fördersätzen für politische Bildungsmaßnahmen
  • Erarbeiten und Finden von nachhaltigen Lösungen für aktuelle politische Krisen, die nicht zu Lasten der zukünftigen Generation gehen
  • Verstärkten Schutz von Vielfalt und Minderheiten wie z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, queeren Menschen oder solchen mit Inklusionsbedarf
  • Junges Ehrenamt und Freiwilligendienste stärker und kontinuierlicher fördern – sowohl auf einer ideellen wie auf einer finanziellen Ebene

Nur durch eine sichere, verlässliche und ausreichende Förderung der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit können wir, unsere Mitgliedsverbände und zahlreiche Einrichtungen der Jugendarbeit in Brandenburg unserem Auftrag gerecht werden, junge Menschen dabei zu begleiten und zu unterstützen, eine eigene politische Positionierung innerhalb eines demokratischen Spektrums zu erlangen und die eigene Rolle in der Gesellschaft zu finden und zu vertreten. Dabei zeigen unsere Maßnahmen und die unserer Mitgliedsorganisationen jeden Tag auf, dass es sich hierbei nicht um eine politische Einflussnahme handelt, sondern um eine Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dabei fördern wir den Austausch und die Debatte, das Verhandeln unterschiedlicher Positionen und das Finden von Kompromissen und gegenseitigem Verständnis. Diese Aufgabe ist aktuell und in den kommenden Jahren wichtiger denn je.

Unser Ziel ist es, dass jeder Mensch in Brandenburg ohne Angst verschieden sein kann.