Von Januar bis April 2022 wurden erstmals elf junge Menschen aus Brandenburg zu Jugendguides zur NS-Geschichte vor Ort ausgebildet. Die Jugendlichen haben Wissen zu lokaler NS-Geschichte gehoben und sich in verschiedenen Bausteinen der Jugend-, Geschichts- und Erinnerungsarbeit Kenntnisse und Handlungskompetenzen angeeignet. Die etwa 90 Stunden umfassende Ausbildung qualifiziert die Jugendlichen dazu, für ein Publikum eigene Rundgänge zu lokaler NS-Geschichte zu gestalten.
Baustein 1: Geschichte entdecken
Am 28. Januar 2022 ist die Ausbildung im Haus der brandenburgisch-preussischen Geschichte in Potsdam gestartet. Zunächst ging es darum, die anderen Jugendguides kennenzulernen und zu erfahren, warum sie die Ausbildung machen wollen und was sie am Thema NS interessiert. Gemeinsam suchten die Jugendlichen am nächsten Tag auf dem Platz der Einheit nach Erinnerungszeichen. Mit einem Zeitstrahl schauten sie auf die Geschichte des Ortes und verorteten sich selbst darin. Mit Dokumenten näherten sie sich den Biographien von Menschen an, die während des NS verfolgt wurden.
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Baustein 2: Gruppen (beg)leiten
In der ersten Februarwoche bekamen die angehenden Jugendguides einen Überblick darüber, was in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen wichtig ist: Wie geht das – Jugendliche beteiligen? Welche Prozesse gibt es in einer Gruppe und wie kann darauf eingegangen werden? Was bestimmt die Lebenswelten Jugendlicher? Für die Einheiten zu den rechtlichen Grundlagen der Jugendarbeit erhielten die Jugendlichen Onlinematerialien und Reflektionsaufgaben, die sie selbst bearbeitet haben. In einem gemeinsamen Onlinetreffen wurden diese dann gemeinsam ausgewertet.
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Baustein 3: Geschichtskontexte
Im Februar und März besuchten die angehenden Jugendguides Erinnerungsorte in Brandenburg und bekamen einen Einblick in die Arbeit vor Ort: Welches Bild hatten die Menschen von Geschichte zu unterschiedlichen Zeiten? Was ist wichtig bei der Vermittlung von historischen Inhalten? Welche Rolle spielt Sprache, wenn z.B. diskriminierende Häftlingsgruppen aus der NS-Zeit thematisiert werden? Wie können Führungen oder andere Vermittlungsformate für Jugendliche interessant gestaltet werden? Welche Methoden lassen sich gut auf den eigenen Einsatz als Jugendguide übertragen?
﹀ Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide
In einer Führung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide haben die Jugendlichen sich ein Bild davon gemacht, unter welchen Bedingungen Menschen während des NS hier Zwangsarbeit leisten mussten. Anhand von Dokumenten ehemaliger Zwangsarbeiter*innen haben sie Biographien erarbeitet und in der Gruppe vorgestellt.
﹀ Lernort 7x jung von Gesicht zeigen in Berlin
Im Lernort 7xjung, einem Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt in Berlin, werden in alltäglichen Umgebungen, wie junge Leute sie heute erleben, aber auch zur Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, Erfahrungswelten von Jugendlichen gezeigt. Die angehenden Jugendguides haben sich am 05. März 2022 in dem Lernort gefragt, wie es möglich war, dass eine Gesellschaft, die unserer so ähnlich ist, so viele Menschen ausgrenzen konnte. Sie erkundeten die Ausstellungsräume des Lernortes mit der Frage, was sie mit den Objekten in den Räumen verbinden und teilten ihre Gedanken und Ideeen später in der Gruppe.
﹀ Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen
Am 12. März 2022 besuchten die Jugendlichen die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, die sich auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen in Oranienburg, nördlich von Berlin, befindet. Im Gedenkhain der Gedenkstätte Sachsenhausen haben die angehenden Jugendguides geschaut, an welche Menschen und Häftlingsgruppen hier erinnert wird. Mit Fotos und Zeichnungen ehemaliger Inhaftierter haben sie die Gedenkstätte erkundet. Anhand von Dokumenten aus dem Archiv haben sie sich Fundstücken angenähert und Gespräche in der Gruppe angeleitet.
Baustein 4: Lokal forschen
Im März haben die Jugendlichen bei sich vor Ort recherchiert und eigene Aktionen und Rundgänge zur NS-Geschichte ihrer Orte entwickelt. Dabei wurden sie von ihren lokalen Mentor*innen unterstützt, die ihnen mit Fachwissen und Kontakten vor Ort zur Seite standen. In einer 2-tägigen Onlinewerkstatt am 18. und 19. März 2022 konnten die angehenden Jugendguides den Stand ihrer Forschungen und Aktionen vorstellen und ein Feedback von Gedenkstättenmitarbeitenden und den anderen Jugendlichen bekommen. Zwischen dem 25. und 30. März 2022 fanden die lokalen Rundgänge und Aktionen statt.
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﹀ Plakatausstellung zum NS in Strausberg
In Strausberg hat eine Jugendguidin eine Plakat-Ausstellung entwickelt und durch diese im Schulgebäude des Theodor-Fontane-Gymnasiums Strausberg geführt. Zur Vermittlung des Themas wählte sie u.a. biographische Zugänge z.B. über die Stolpersteine der Familie Zeidler und die Schicksale von Günter Ewald und Karl Otto Mendelssohn. Politische Ereignisse wie die Machtübernahme und die Verfolgung wurden für Strausberg anhand von Zeitungsberichten oder Zeitzeug*innenberichten konkretisiert. Die Kontinuität antisemitischer und rassistischer Diskriminierung und Verfolgung wurden anhand von Strafanzeigen wegen rechtsextremistischer Taten im Landkreis Märkisch-Oderland von 2016 bis 2020 hergestellt.
﹀ Actionbound-Rundgang in Fürstenwalde
Die Jugendguides aus Fürstenwalde haben einen 6 km langen Action-Bound-Rundgang durch Fürstenwalde entwickelt: zu dem Standort der Küche des ehemaligen KZ-Außenlagers Bad Saarow sowie zur nahgelegenen Bunkeranlage Fuchsbau, die von KZ-Häftlingen errichtet wurde, und bis 1945 als Nachrichtenzentrale der Waffen-SS und, nach Umbauten, bis 1989 als Führungsstelle der NVA-Luftverteidigung und Fernmeldeknoten der Post genutzt wurde. Für ihre Recherchen nutzten sie Unterlagen aus dem Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen, Informationen aus den Unterlagen des Bunkermuseums und das Buch „Vi Ventet“ des Überlebenden und ehemaligen Zwangsarbeiters Odd Magnussen. Am 31. März 2022 ist ein Artikel über den Rundgang in Spreebote Online erschienen. Spreebote Online – Bildung – Premiere der Jugendguides
﹀ Die Alte Schule in Kagel
Die Jugendguides aus Kagel haben sich mit der Schulchronik ihres Ortes befasst. In den Rollen des ehemaligen Dorfschullehrers Georg Pöthke und dem Schüler Otto Ramm, die während der NS-Zeit in Kagel gelebt haben, haben sich die Jugendlichen in einem kontroversen Dialog an die lokale NS-Geschichte Kagels angenähert. Von der Alten Schule aus führte der Rundgang auf den Dorfplatz, an der Kirche vorbei, über die Kummertränke zum ehemaligen Jagdschloss Kagel, das während der Kriegsjahre von der Organisation Todt als Nachrichtenzentrale genutzt wurde.
﹀ Rundgang in Lychen
Der Rundgang in Lychen startete bei den ehemaligen Heilanstalten Hohenlychen, die vor 1935 vor allem für die Behandlung von Lungenerkrankungen bekannt waren. Karl Gebhardt übernahm 1935 die Leitung und führte u.a. im KZ Ravensbrück medizinische Experimente an KZ-Häftlingen durch, in deren Folge viele Häftlinge starben. Der Weg führte weiter zu dem Haus, das während des NS als Verwaltungshaus der Lychener Gauleiterschule genutzt wurde und in dem prominente Gäste der NSDAP empfangen wurden. Weiter ging es zum jüdischen Friedhof, der während der Reichspogromnacht geschändet wurde. Der Verbleib der Grabsteine ist bis heute unbekannt. Die letzte Station führte an den Standort des ehemaligen Kinderheims Chorsstift, das nach Siegmund Chors, dem Begründer, benannt wurde. Cohrs wurde von den Nazis die Ehrenbürgerwürde aberkannt und erhielt sie erst 2013 auf Initiative seiner Großnichte Heide Singer zurück. In der Wochenendausgabe vom 9./10. April 2022 des Uckermark Kuriers/der Templiner Zeitung ist ein Artikel über den Rundgang in Lychen erschienen: Uckermark_Kurier_Templiner_Zeitung_09_10_April_2022
Abschlussveranstaltung
Am 2. April 2022 fand die gemeinsame Abschlussveranstaltung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück statt. Die Jugendguides stellten ihre lokalen Rundgänge und Aktionen vor und sind mit interessierten Menschen aus der Gedenkstättenarbeit, mit Enscheidungsträger*innen aus der Politik und mit lokal zum NS-forschenden Personen ins Gespräch gekommen. Durch den Tag führte Nadja Grintzewitsch. Andrea Genest, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, sowie Brigitte Faber-Schmidt, Leiterin der Abteilung Kultur im MWFK, hielten Grußworte. Zum Abschluss erhielten die Jugendguides in feierlicher Runde die Zertifikate für die bestandene Ausbildung.
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Wer steckt hinter der Ausbildung?
Die Ausbildung Jugendguide zur NS-Geschichte vor Ort wurde von der Aktion Mensch gefördert. Die lokalen Rundgänge und Aktionen der Jugendlichen wurden vom Deutschen Kinderhilfswerk gefördert. Die Ausbildung wurde von dem Netzwerk „Erinnerungsschmiede“ (Arbeitstitel) fachlich begleitet. Der Landesjugendring Brandenburg e.V. möchte in Kooperation mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten – hier insbesondere der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen – jungen Menschen die Möglichkeit geben, die Geschichte des Nationalsozialismus lokal zu erforschen.