Ideenschmiede: Entwicklung eines Peer – Guide – Projektes für Jugendliche aus Brandenburg zur Vermittlung von lokaler NS-Geschichte
Engagement, welches die Erinnerung an den Nationalsozialismus, vor allem an seine menschenverachtenden Verbrechen, wach halten soll, entspricht oftmals der Weitergabe eines heißen Eisens. Von vielen wird die Erinnerung nur mit einer Kneifzange angefasst, andere würden lieber mit einem Hammer drauf schlagen. Umso mehr, wenn es um das Aufzeigen der lokalen Bezüge geht.
Die Auseinandersetzung mit den konkreten Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft vor Ort wird in Brandenburg noch zu wenig thematisiert und noch weniger wird Jugendlichen zugetraut, sich dazu ein eigenes Bild zu verschaffen oder sich in einer jugendgerechten Art und Weise zu beschäftigen. Dabei gibt es in Brandenburg zahlreiche lokale Initiativen, wissenschaftliche Institutionen und Träger*innen der Jugendarbeit, die der Aufarbeitung offen gegenüber stehen. In einer offenen Haltung, die Jugendliche von den älteren Generationen erwarten, weil für sie nicht nachvollziehbar ist, warum immer noch so viel weggeschaut, verschwiegen oder wegdiskutiert wird.
Schauen wir ins Land, finden wir viele (einzelne) Akteur*innen, die sich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten engagieren: in Stolperstein-Projekten, bei der Ausrichtung von Gedenkveranstaltungen, in der lokalen Forschung. Lokale Bezüge zum NS gibt es viele: Spuren jüdischen Lebens, wie jüdische Friedhöfe, ehemalige Nachbar*innen, Reste von Synagogen; es gibt ehemalige KZ-Außenlager, Zwangsarbeiter*innenlager, Kriegsgefangenenlager, Denkmäler, Gedenktafeln zu den Todesmärschen – kurz die Erinnerung sollte vor Ort allgegenwärtig sein.
Doch was sehen Jugendliche, wenn sie durch ihren Ort gehen? Was wissen sie über die Vergangenheit des Ortes? Wie prägt sie der aktuelle Umgang mit der Vergangenheit? Wer trägt das Engagement weiter, wenn die derzeit Engagierten vor Ort dazu nicht mehr in der Lage sind? Wie etablieren wir einen offenen, respektvollen und dennoch kritischen Umgang vor Ort? Wie installieren wir ein landesweites Netzwerk, welches Jugendliche befähigt sich mit der (lokalen) Geschichte des NS auseinanderzusetzen und dieses Wissen (an Gleichaltrige) weiterzugeben? Wie bündeln wir unsere Erfahrungen und Ressourcen, um dieses nachhaltig zu tun und die lokalen Initiativen zu unterstützen und zu stärken?
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Dies möchten wir gemeinsam mit Ihnen bei unserer Ideenschmiede überlegen. Die Ideenschmiede findet als Online-Format statt. Wir haben die Veranstaltung, wie im linken Bild zu sehen, in einzelne Werkstätten aufgeteilt. Beginnen möchten wir mit dem Kennenlernen der interessierten Akteur*innen und einem Einblick in die lokalen Bezüge [Werkstattbesichtigung]. Abschließen werden wir mit dem Zusammenfinden derselben zu Kooperationsabsprachen am letzten Tag [Schmieden!]. Für den zweiten Tag haben wir Akteur*innen angefragt, die bereits Erfahrung in der Umsetzung von sogenannten Peer-Ansätzen [Werkzeugkunde] haben. Wir laden Sie ein, diese Ansätze kennenzulernen, um jeweils anschließend gemeinsam zu überlegen, was für einen Transfer in unser entstehendes Konzept geeignet ist. Bevor es an das Schmieden des gemeinsamen Konzeptes geht, freuen wir uns auf einen Input und Überlegungen dazu, wie wir eine mögliche Ausbildung von Jugendlichen möglichst so gestalten können, dass diese lebensweltorientiert und gegenwartsbezogen ist. Wir nennen diese Werkstatt [Blasebalg treten], weil dieser das Feuer am Lodern hält und damit auch die Motivation der Jugendlichen an einer Peer-Ausbildung teilzunehmen und später ihr Wissen zu teilen.
Werkzeugkunde 1: Peer-Education beim Anne-Frank-Zentrum﹀
Peer Education ist ein pädagogischer Ansatz, der Lernen von und mit Menschen ermöglicht, die einen ähnlichen Erfahrungshintergrund haben und gemeinsame Lebenswelten teilen. Das Anne Frank Zentrum arbeitet im Rahmen der Anne Frank Wanderausstellungen seit vielen Jahren mit dem Ansatz der Peer Education und bildet Jugendliche und junge Erwachsene zu sogenannten Peer Guides aus. Als Guides begleiten sie andere Jugendliche durch die Ausstellung, sie beschäftigen sich mit der Geschichte Anne Franks und ihrer Familie, der Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust, aber auch aktuellen Fragen von Identitäten, Zugehörigkeit und unterschiedlichen Formen der Diskriminierung. Peer Education ist dabei mehr als eine Methode der Vermittlung, sie macht Partizipation und ein demokratisches Miteinander im Kleinen erfahrbar. Auch wenn historische Themen oft weit weg und etwas staubig erscheinen, der Ansatz der Peer Education ermöglicht eine jugendgerechte und partizipative Form des Lernens und der Erinnerung.
Referentin: Franziska Göpner, Anne-Frank-Zentrum Berlin
Werkzeugkunde 2: Junior-Guides Tübingen﹀
KulturGUT e.V. qualifiziert seit 2012 15- bis 23-jährige zu „Jugendguides“. Wir sprechen vor allem Jugendliche an, die außerschulisch gesellschaftlich wirksam sein möchten. Die Qualifizierung findet jährlich statt, über 200 junge Menschen wurden bereits zertifiziert. Während der Qualifizierung formulieren sie für sich und andere, warum sie sich für das Erinnern an NS-Verbrechen vor Ort engagieren. Wir bieten die Qualifizierung außerschulisch und analog zur Jugendleiterausbildung an: 40 Qualifizierungs-Stunden von Mai bis November eines Jahres mit Exkursion, Seminarblöcken und Workshops. Die Jugendguides können anschließend bei Stadtgängen für die Öffentlichkeit oder geschlossene Gruppen ihre Kenntnisse und ihre Haltung präsentieren. Der Landkreis Tübingen ermöglicht die Qualifizierung durch personelle Leistungen von Kreisarchiv und Kreisjugendreferat sowie durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln.
Jugendliche beschreiben oft, dass sie beim Geschichtsunterricht, wenn es um die Zeit des NS geht, ihre Ohren „auf Durchzug“ stellen. Das hat verschiedene Gründe: manche schützen sich vor der Wucht des Entsetzens, das Erzählte ist zu abstrakt und/oder zu weit weg von ihrer Lebenswelt oder sie setzen andere Prioritäten. Ganz anders ist es aber, wenn Jugendliche anderen Jugendlichen etwas vermitteln. Wir kennen das ja u.a. in der Jugendsozial- und Verbandsarbeit, wie „offen“ die Ohren plötzlich sind, wenn jugendliche Teamer*innen und Jugendleiter*innen etwas erzählen. Aus dieser Erfahrung entstand die Idee: warum dieses Modell nicht in der Vermittlung von Geschichte an Jugendliche nutzen? Warum nicht auf Augenhöhe und durch jugendliche Sprache lokale Geschichte rund um die verlegten STOLPERSTEINE in Fürstenwalde von Jugendlichen für Jugendliche sicht- und greifbar zu machen? Zudem wir viele Geschichten, Bilder, Erzählungen in den letzten 15 Jahren gesammelt haben. Die Planung der Inhalte, des Rahmens, der Touren usw. wird ständig mit den Jugendlichen diskutiert und ergänzt um die Inhalte, was sie zusätzlich brauchen bzw. ihnen wichtig ist.
Referent*innen: Gabi Moser, Ev. Kirchenkreis Oderland Spree / Guido Strohfeldt, Museum Fürstenwalde / Leo (angehender Stolperstein-Jugendguide)
Blasebalg treten: Input des Lernorts 7 x jung﹀
Der Lernort 7xjung startete vor gut 10 Jahren mit der Mission, Kindern und Jugendlichen gegenwartsbezogen NS-Geschichte näher zu bringen. In diesem Programmteil werden die Ansätze und Erfahrungen aus dieser Arbeit vorgestellt. Was hat ein Handy in einer Vitrine mit Nazi-Deutschland zu tun? Wie kann es gelingen Brücken zwischen Vergangenem und Gegenwart, zwischen Alltag der Jugendlichen und den Erlebnissen der Menschen der 1939er Jahre herzustellen? Welche Gestaltungselemente und pädagogischen Methoden kommen dafür in der Ausstellung zum Einsatz? Und wie lässt sich daran auch in anderen Vermittlungskontexten anknüpfen? Diesen Fragen soll im gemeinsamen Austausch nachgegangen werden.
Wir rufen Sie dazu auf, sich mit Ihren Erfahrungen, Ihrer Kompetenz und Ihrem Engagement an die Ideenschmiede zu beteiligen! Bitte melden Sie sich bis zum 31.01.2021 an.